Filipinos sitzen zwischen Gräbern an Allerheiligen.

An Allerheiligen gehen die Filipinos traditionell auf den Friedhof. © Valerie Till

In Deutschland hat der christliche Feiertag Allerheiligen am 1. November keine besondere Tradition. Es ist ein sogenannter “stiller Feiertag”, der in fünf deutschen Bundesländern für einen zusätzlichen freien Tag sorgt und an dem eine andächtige Stille in der Luft liegt. Ganz anders sieht es auf der anderen Seite der Weltkugel auf den Philippinen aus. Stille ist hier an diesem Tag ein Fremdwort. Es wird gelacht, gefeiert, geredet, gegessen und musiziert. Und nicht etwa in den eigenen vier Wänden. Nein, die Feierei findet auf dem Friedhof statt. Wie ich diesen Tag im vergangenen Jahr auf den Philippinen erlebt habe, erzähle ich euch im Folgenden:

Es ist der 1. November 2013 – Allerheiligen. Wir stehen an diesem Abend in einer langen Menschenschlange zwischen Senioren, Erwachsenen und Kindern. Es herrscht dichtes Gedrängel und eine Lautstärke wie auf dem Markt. Der Umgang der Menschen untereinander ist respektvoll. Trotz der Menge an Leuten wird nicht geschubst, getreten und gepöbelt. Links und rechts ragen hohe Betonwände empor und das Einzige, was ich in der Entfernung sehe, sind die Polizisten, die mit einer Taschenlampe leuchten und die Menschenmasse beobachten. Ich fühle mich, als ob ich für ein Konzert anstehe und der Einlass nur schleppend voran geht. Aber ich stehe nicht vor einer Konzerthalle. Ein paar Meter vor mir sehe ich das riesige geöffnete Tor, dass meine Verwandten und mich in einen Ort der Erinnerung einlässt: auf den Friedhof.

Eine Menschenschlage vor einem Eingang zum Friedhof.

Eine Menschenschlange vor dem Eingang zum Friedhof. © Valerie Till

Das Bild, das ich hier zu sehen bekomme, lässt mich erstaunen. So etwas habe ich in Deutschland noch nie gesehen. Der Friedhof ist überfüllt. Menschen sitzen auf oder neben den Gräbern ihrer Verwandten, haben Picknickdecken und Kissen ausgebreitet, Sonnenschirme aufgebaut, Essen mitgebracht und lassen Musik aus Radios oder Smartphones erklingen. Tausend Kerzen brennen auf den Garbsteinen und erhellen den dunklen Himmel. Die Leute unterhalten sich in einer ganz normalen Lautstärke – keine Spur von andächtiger Stille, wie ich sie von deutschen Friedhöfen her kenne. Auf einer Empore erblicke ich sogar eine Art Bühne mit grellem Neonlicht und einem Priester, der ins Mikrofon spricht und dessen Stimme über den ganzen Friedhof schallt. An seiner Seite Mütter mit kleinen Kindern, die sich den Segen abholen.

Trubel auf einem philippinischen Friedhof an Allerheiligen.

Trubel auf einem philippinischen Friedhof an Allerheiligen. © Valerie Till

Auf einer Art Bühne spricht der Priester zu den Filipinos auf dem Friedhof.

Auf einer Art Bühne spricht der Priester zu den Filipinos auf dem Friedhof. © Valerie Till

Wir gehen zu den Gräbern meiner Großeltern und ich bemühe mich, nicht auf fremde Gräber zu treten. Das wäre mir unangenehm, so etwas tut man doch nicht. Aber ab und an bleibt mir leider nichts anderes übrig, da der schmale Weg überfüllt ist. Wir kommen an kleinen Ständen vorbei, wo Essen und Trinken verkauft wird. In der Luft liegt der Geruch von gegrilltem Fleisch, Fisch und süßen Sachen. An den Gräbern angekommen drücken meine Verwandten mir Kerzen in die Hand. Diese werden angezündet, das Wachs wird auf die Grabsteine getropft und die Kerzen dann dort festgedrückt. Ein Gebet für die Verstorbenen folgt. Meine Cousine macht mich darauf aufmerksam, dass wir die Kerzen und die Gräber nicht außer Sicht lassen sollten, solange wir da sind: “Sonst kommen Kinder, blasen die Kerzen aus und sacken die Kerzenstümpfe ein. Das dürfen sie erst, wenn wir wieder gehen.” Warum die Kinder das machen? Um mit dem Wachs Geld zu verdienen.

Menschen sitzen auf und um Gräber herum.

Die Verstorbenen am Leben der Lebenden teilhaben lassen – Allerheiligen auf den Philippinen. © Valerie Till

Schachtelartige Gruften auf dem Friedhof.

Schachtelartige Gruften auf einem philippinischen Friedhof. © Valerie Till

Die Gräber werden gesäubert, Blumen werden niedergelegt. Ich beobachte das Treiben auf den Nachbargräbern. Teilweise sitzen oder liegen die Menschen auf den Gräbern, sprechen zu den Verstorbenen, erzählen ihnen Geschichten und lassen sie an dem Leben der Lebenden teilhaben. Denn das ist Allerheiligen auf den Philippinen: Dieser Feiertag wird von den Filipinos dazu genutzt, um die Verstorbenen mit einem Fest zu ehren, an sie zu denken und zu zeigen, dass sie weiterhin Teil der Familie sind. Von morgens bis abends – manchmal übernachten sie sogar bis zum nächsten Morgen. Mich überkommt ein Gefühl der Traurigkeit, weil ich an meine verstorbenen Verwandten denke, aber gleichzeitig auch ein Gefühl der Wärme, da ich mich der Familie ganz nah fühle.

Als wir den Friedhof verlassen, bin ich glücklich, diesen Feiertag auf den Philippinen mal selbst miterlebt zu haben. Es ist etwas ganz Besonderes. Und ich bin froh, mal eine andere Friedhofsatmosphäre kennen gelernt zu haben als die andächtige Stille.

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